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Das Auseinanderfallen des autonomen Diskurses...

1. Die Debatte in der radikal

Welche Chancen hat der nationale Befreiungskampf?

Kurdistan und die PKK - Befreiung und Nationalismus?

2. Rote Zora: Ihr habt die Macht, uns gehört die Nacht

Kritik an der PKK

3. Frauen in Kurdistan - Rote Zora

Das Auseinanderfallen des autonomen Diskurses am Beispiel der Debatte um Kurdistan-Solidarität in der radikal

In den 90er Jahren geraten die KurdInnen und ihre Organisation, die "kurdische Arbeiterpartei PKK", ins Blickfeld der bundesdeutschen Öffentlichkeit. Durch ihre Verfolgung in der Türkei und im Irak, das Verbot ihrer Organisationen in der BRD und ihre spektakulären Aktionen, wie Autobahnbesetzungen, mit denen sie sich dagegen wehren, stellt sich für die Autonomen die Frage nach der Einlösung ihres Solidaritätsanspruches. Bei der Debatte in der radikal zeigt, sich, dass sie weder über die Ressourcen verfügen, nennenswerte Unterstützungsarbeit zu leisen, noch bereit sind, ihre eigenen Politikformen in Frage zustellen, und, wie es im wichtigsten Theoriepapier der Autonomen gefordert wird, die besonderen Voraussetzungen anderer Kämpfe anzuerkennen.

Für die Autonomen ergeben sich verschiedene Möglichkeiten, parallelen mit den KurdInnen zu finden, oder ihre Situation als Informationsselektion für ihre Mobilisierung zu benutzen. Anfang der 90er Jahre wird an ihrer Situation die militaristische Seite der deutschen Außenpolitik deutlich; im Golfkrieg nach der Annexion Kuwaits thematisieren die Autonomen die Unterstützung des Iraks durch deutsche Rüstungsexporte sowie die Nachschubregelung der USA mit Hilfe deutscher Infrastruktur; als die Türkei militärisch gegen kurdische Dörfer vorgeht rückt die Beteiligung deutscher Waffen, insbesondere aus NVA-Beständen, in den Mittelpunkt des Interesses. Ein zweiter Anknüpfungspunkt ergibt sich aus dem Verbot kurdischer Vereine und Organisationen. Für die Autonomen wird daran der repressive Charakter des bundesdeutschen Staates deutlich. Die daran anschließenden Proteste der KurdInnen im Frühjahr 1993 mit teilweise spektakulären Aktionsformen entsprechen dem Framing, dass sie selbst Anfang der 80er betrieben haben.

1. Die Debatte in der radikal

Während zunächst nur über Aktionen der KurdInnen und die Situation in ihrer Herkunftsregion berichtet wird, versucht die radikal Mitte der 90er Jahre eine politische Position zu dem Kampf der KurdInnen und der PKK zu finden. Der in der Anti-IWF-Kampagne und in "Drei zu Eins" entwickelte Solidaritätsanspruch kann dadurch zunächst aufrechterhalten werden. Die anhaltende Präsenz in bürgerlichen Medien macht aber auf Dauer deutlich, dass es auch Möglichkeiten praktischer Unterstützung gibt, die von den Autonomen nicht genutzt werden. Entgegen aller Aufrufe, aktiv zu werden, dient die Betonung nationalistischer, sexistischer und antisemitischer Tendenzen innerhalb der PKK, die von der radikal vorgenommen wird, letztlich nur dazu, das Nichtstun zu begründen.

Die radikal berichtet Anfang der 90er Jahre unregelmäßig über Aktionen von und gegen KurdInnen in der BRD und der Türkei (Der Staatsterror verstärkt sich, radikal 144 10/91, S. 118, Solidarität mit dem nationalen Befreiungskampf Kurdistans, radikal 147 3/93, S. 53f). Ab 1994 sind regelmäßig größere Teile der Zeitschrift dem Thema Kurdistan vorbehalten. Waren bis dahin vorliegende Beiträge kurdischer Organisationen und derer SympathisantInnen unkommentiert abgedruckt worden, will die Redaktion nun eine "Einschätzung des Befreiungskampfes" abgeben und eine "kritische Auseinandersetzung mit Zielen und Inhalten der PKK" beginnen (Kurdistan, radikal 149 3/94, S. 62).

Zunächst wird eine realistische Bewertung der politischen Möglichkeiten der PKK vorgenommen, um dann mit den Themen "nationalisitsche Ideologie" und "Verhältnis der PKK zur Situation der Frauen" die Richtung für abgrenzende Kritik vorzugeben (ebenda, S. 63). Zunächst heißt es, dass es sich bei der PKK um eine Organisation mit dem Anspruch eine "Partei mit dem Sozialismus im marxistisch-leninistischen Sinn" zu sein (ebenda) handele, die für die "nationale Befreiung Kurdistans" einen "Guerillakrieg gegen die türkische Armee" führt (ebenda, S. 62).

Da dieses Ziel militärisch nicht durchzusetzen sei, müsse sie auf die Unterstützung der "imperialistischen Staaten" hoffen, um zumindest auf dem Gebiet des Irak zu einer Teilautonomie zu gelangen (ebenda, S. 63).

Nach geglückter Gründung eines kurdischen Nationalstaates seien die Bedingungen für sozialistische Politik allerdings schlecht. Da der mögliche "nichtkapitalistische Bündnispartner" UdSSR nicht mehr vorhanden sei, müssten die "Produktivkräfte" unter den Bedingungen internationaler Konkurrenz entwickelt werden, was mit "brutaler Ausbeutung und damit einhergehender Politischer Unterdrückung der eigenen ArbeiterInnenklasse" einherginge (ebenda).Welche Möglichkeiten ein Entwicklungsland mit sozialistischem Anspruch hat, zeige das Beispiel der "sandinistischen Politik der "nationalen Versöhnung" (mit der Bourgeoisie)" und "Cubas Ausverkauf an den Tourismus" (ebenda).

Die Redaktion kommt zu dem Ergebnis, dass "sämtliche revolutionären Ansätze Traumtänzerei" seien, und bestenfalls "sozialdemokratische Verhältnisse" entstehen könnten (ebenda). Damit könne letztlich der "Kampf um einen Nationalstaat" nicht zur "sozialen Revolution" beitragen (ebenda). Zudem sei die Ausrichtung auf den eigenen Staat immer mit "nationalistischer Ideologie" verbunden (ebenda). Stattdessen sollte "internationalistische Klassenbewußtsein" vermittelt werden, indem der "Befreiungskampf mehr mit sozialen Kämpfen in der Türkei" verbunden wird (ebenda).

In Bezug auf Frauenpolitik fällt die Bewertung der PKK zunächst positiv aus. Sie richte sich eindeutig gegen die "vorherrschende fundamentalistische-islamische Tradition" und ermöglicht Frauen die Teilnahme am Guerillakampf (ebenda). Zudem wird Cemal, der PKK-Koordinator der Region Botan zitiert, der davon spricht, dass "in allen Bereichen Gleichberechtigung" erreicht werden soll (Interview von Özgür Gündem, zitiert nach radikal 149 3/94, S. 63). Die radikal formuliert allerdings eine zusätzliche Maßgabe für den Bereich Frauenpolitik und kündigt an, dem Thema "zukünftig mehr Platz" einzuräumen. Die PKK müsse durch "Aufklärung und Propaganda" das "Bewußtsein (der Männer)" verändern (radikal 149 3/94, S. 63).

Im ersten Redaktionsartikel der radikal können noch kein konkreten Vorwürfe gegenüber der PKK formuliert werden, die Richtung aus der die Kritik in den nächsten Ausgaben geübt werden wird, ist aber bereits vorgegeben. Auf der ebene konkreter Politik wird das Konzept der "nationalen Befreiung" abgelehnt, da es nicht zur "sozialen Revolution" beitragen könne. Ideologisch stehe es "internationalistischem" Bewusstsein im Wege, hierfür werden in den nächsten Ausgaben Beweise nachgeliefert. Die Frauenpolitik kann nicht auf der konkreten Ebene kritisiert werden, es ist aber bereits angekündigt zu überprüfen, ob durch "Aufklärung" das richtige "Bewusstsein" vermittelt wird.

Mit dem Vorwort zum Kurdistan-Block beginnt Ende ´94 der Prozess der zunehmenden kritischen Distanzierung von der PKK (radikal 12/94, S. 4). Es wird zwar zunächst noch ein Beitrag einer Solidaritätsgruppe mit überwiegend positivem Tenor abgedruckt, bevor neben den Dokumentationen nur noch Artikel erscheinen, die massive Kritik an der PKK üben.

Welche Chancen hat der nationale Befreiungskampf?

"Eine Gruppe aus der Kurdistan-Solidaritätsbewegung" stellt die PKK als progressive Kraft dar, was die Stellung der Frauen und das Verhältnis zum Nationalismus angeht. Innerhalb der Befreiungsbewegung hätten "Frauen auf allen Ebenen die Möglichkeit sich zu beteiligen", bei der "Guerilla" läge der Frauenanteil bereits bei zwanzig Prozent (Eine Gruppe aus der Kurdistan-Solidaritätsbewegung: "Kurdistan: Welche Chancen hat der nationale Befreiungskampf?", radikal 12/94, S. 5). In der Auseinandersetzung mit der Türkei würden "nationalistische Aktionen" wie "Rachefeldzüge gegen Türken oder türkische Dörfer" von der PKK verhindert und "nationalistische Positionen ideologisch bekämpft" (ebenda). Ganz im Sinne von "Drei zu Eins" wird argumentiert, dass "nationalistische Tendenzen in den kurdischen Massen" nicht mit dem "faschistischen Nationalsozialismus der Türkischen Republik" gleichgesetzt werden könnten, da es sich im einen Fall um eine "ideologische Rechtfertigung für Unterdrückung" handele und im anderen Fall um eine Position, die sich "gegen Unterdrückung wehrt" (ebenda, S. 4).

Insgesamt sollten die Ansprüche an den kurdischen Befreiungskampf nicht zu hoch angesetzt werden, da "ausgerechnet von einem kolonialen halbfeudalistischen Land wie Kurdistan" nicht erwartet werden könne, "als erstes die Aufgabe zu lösen, wie die Menschheit vom Kapitalismus befreit werden kann" (ebenda, S. 5).

Kurdistan und die PKK - Befreiung und Nationalismus?

Dagegen befasst sich der anschließende Beitrag der radikal-Redaktion fast ausschließlich mit dem angeblich völkischen Nationalismus der PKK. Für eine "eigene" Nation" zu kämpfen sei "zentrales Mobilisierungsmoment" der kurdischen Bewegung (Eine Gruppe aus der radi: "Kurdistan und die PKK - Befreiung und Nationalismus?", radikal 12/94, S. 9). Die Tatsache, dass das Programm der PKK eine kurdische Identität konstruiert, die auf die Ziele der Organisation ausgerichtet ist, wird als Aufbau "völkischer Identität" aufgefasst (ebenda, S. 10). Als Beleg dafür wird das Programm der PKK folgendermaßen zitiert: "Die Verbundenheit mit der Familie und die Furchtlosigkeit vor dem Tod für die Ehre dieser Familie (...) sind ein Ausdruck für dieses traditionelle Widerstands- und Unabhängigkeitsgefühl". Die Verbindung zur Politik der PKK erwächst aus Programmteil, der deutlich formuliert: "Jegliche Ansichten über Kurdistan, die den nationalen Konflikt nicht als Hauptkonflikt betrachten, dienen dem Kolonialismus und der Reaktion" (Programm der PKK, 1978, Agri-Verlag, Aachener Str. 514-520, 50933 Köln, zitiert nach: Eine Gruppe aus der radi: "Kurdistan und die PKK - Befreiung und Nationalismus?", S. 11).

Auch im Bezug auf die Stellung der Frau sieht die Redaktionsgruppe völkische und nationalistische Denkweisen als dominant an. Hierzu wird aus einem Text des YJWK, dem "Verband patriotischer Frauen Kurdistans" zitiert. Er verurteilt die Inanspruchnahme von Freiheiten durch Kurdinnen im Exil und ordnet deren rechtliche und soziale Gleichstellung der nationalen Unabhängigkeit nach: Frauen im Exil nützten die "Gelegenheit aus, sich frei zu entfalten. Aber diese Entfaltung führt zu einer Degenerierung der Frauen (...) Sinnlose Streitereien werden geführt, die Familie wird in den Ruin getrieben". Dagegen hätten Frauen in Familien, "die enge Kontakte mit ihrer Heimat Kurdistan haben (...) das Bewußtsein erlangt, daß Befreiung nur durch ein befreites Land möglich ist. Genauso die Befreiung der Frau" (YJWK Stuttgart, aus Kommunale Berichte Stuttgart, 2-4/1992, GNN Verlag, Stuttgart, zitiert nach Eine Gruppe aus der Kurdistan-Solidarität: Kurdistan und die PKK, S. 11).

Der Text der "patriotischen Frauen" weist auch tatsächlich völkische Denkweise auf, er definiert die KurdInnen als Volk, das sich von anderen Völkern unterscheide: "Die Kurden als Menschen aus einer fremden Gesellschaft haben anderen soziale und politische Eigenschaften als andere Völker wie z.B. die Griechen, Jugoslawen, Türken usw.".. (ebenda).

Die Gruppe aus der radikal verurteilt die dargestellte "völkische Mobilisierung" unabhängig davon, ob sie im Kontext von "Dominanz- oder unterdrückter Kultur" geäußert wird, da sie nicht "funktional benutzt" und zu irgendeinem Zeitpunkt "abgeworfen" werden könnten (ebenda, S. 12).

Ein zweiter Text der Gruppe versucht Belege für Antisemetismus in der kurdischen Unabhängigkeitsbewegung zu finden. Ausgangspunkt ist eine Artikel in der "pro-kurdischen Zeitung Özgür Ülke" vom August ´94, in dem von der "jüdisch-zionistischen Weltverschwörung" die Rede sei (Kurdistan, radikal 4/95, S. 14). Ein Vertreter der ERNK (Nationale Befreiungsfront Kurdistan, deutsche Vertetung der PKK) stellt daraufhin klar: "Es gibt bei uns keine Feindschaft zu den Juden, auch nicht gegen Türken, Araber oder irgendein anderes Volk (...) Unsere Feinde sind die Klassenverhältnisse" (Biji - Informationen aus Kurdistan und der BRD, 27.2.95, zitiert nach radikal 4/95, S. 14).

Die radikal gibt sich mit dieser Aussage nicht zufrieden und wertet andere Texteile der Stellungnahme als antisemitisch. So heißt es darin, dass "jüdisches Kapital (...) den türkischen Staat" stütze und im "türkischen Machtapparat (...) Juden bestimmte Positionen" besetzen (ein Vertreter dem ERNK, S. 14). Zudem richte sich die "jüdische Religion (...) nur an Juden, während andere Religionen international" seien (Kurdistan, radikal 4/95, S. 14).

Die radikal wertet die explizite Erwähnung und die "Teilung der Herrschenden Klasse der Türkei in Juden und Nichtjuden" als antisemitisch (ebenda). Zudem sei die Darstellung des Glaubens der Juden und Jüdinnen "als etwas vollkommen anderes als die anderen Religionen (...) grob fahrlässig" (ebenda, S. 15).

Bis zur nächsten Ausgabe der radikal haben auch andere Zeitschriften die Debatte aufgenommen und es gibt Reaktionen und neue Stellungnahmen von kurdischer Seite. Die Nachfolgezeitung von Özgür Ülke, "Yeni Politika" veröffentlicht zwei Beiträge, die im Gegensatz zu den vorherigen Zitaten eindeutig antisemitisch aufgefasst werden müssen. In einem Artikel sei davon die Rede, dass im türkischen Staat "eine zionistische Lobby [existiere], die die Politik des Terrors" unterstütze (Yeni Politika, zitiert nach "Kurdistan: Debatte - Erklärung - Chronologie", radikal 153 11/95, S. 47). Noch deutlicher wird der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan: "Ich bin überzeugt, daß der türkische Krieg bis zum Endsieg gegen uns mit geheimer Unterstützung Israels geführt wird. Das israelische Kapital spielt bei der gegenwärtigen Vernichtung der kurdischen Nation eine enorme Rolle" (Interview mit Yeni Politika, 18.7.95, zitiert nach radikal 153 11/95, S. 48). Mit dem Antisemetismusvorwurf konfrontiert, verteidigt sich der stellvertretende Chefredakteur von Özgür Ülke mit dem Hinweis, der als Beleg angeführte Artikel betreffe nur den Teil der Juden und Jüdinnen, die "den Handel, den Welthandel und den Weltkapitalismus in der Hand hat" (AK Nr. 379, 1.6.1995, zitiert nach radikal 153 11/95, S. 46).

Dagegen verteidigt sich ein Redakteur von Özgür Ülke mit der Einschätzung, es handele sich bei dem Antisemetismusvorwurf um eine "typisch deutsche" Betrachtungsweise (Junge Welt vom 26.01.1995, zitiert nach radikal 153 11/95, S. 46). Und die Europavertretung der Zeitung stellt klar: "Özgür Ülke steht (...) für das Selbstbestimmungsrecht des jüdischen Volkes. Allerdings verurteilt Özgür Ülke die zionistische Politik des Staates Israel". Bezogen auf die Kritik wird gefordert, "damit aufzuhören, alles was die Juden angeht von deutschen Positionen aus anzusehen" (Antwort auf die Anfrage von Radio Dreyecksland, zitiert nach radikal 153 11/95, S. 46). Ein Mitarbeiter von Özgür Ülke versucht die Bedeutung antisemitischer Vorurteile durch den Verweis auf konkretes Verhalten zu relativieren. "Ich habe bis jetzt noch nie gehört, daß ein Jude, nur weil er Jude war, in der Türkei oder in Kurdistan umgebracht worden ist" (Junge Welt 26.1.1995, zitiert nach radikal 153 11/95, S. 46).

Trotz der eindeutigen Äußerungen gäbe es für die radikal die Möglichkeit, den Antisemitismus zu relativieren. "Drei zu Eins" unterscheidet nämlich ausgrenzende und diskriminierende Ideologien, je nach dem ob sie der Herrschaftssicherung dienen oder sich bei mindermächtigen finden. In diesem Fall setzt sich aber die "deutsche Sichtweise" durch, die in jeder antisemitischen Äußerungen die Vorbereitung für die Vernichtung der Juden und Jüdinnen sieht: "Antisemetismus, egal in welcher Ecke der Welt er auftritt, ist der schlimmste Feind jeder Bemühung um Befreiung. Er bedeutet immer die Ersetzung von Theorie durch völkischen Verfolgungswahn, und er meint immer auch was er sagt: Tod allen Juden und allen anderen Volksschädlingen" (Justus Wertmüller in der Jungen Welt vom 25.08.95, zitiert nach radikal 153 11/95, S. 48).

Die Redaktionsgruppe ist sich durchaus bewusst, dass sie mit ihren Beiträgen die Solidarisierung mit KurdInnen in der Bundesrepublik und der PKK erschwert. Sie fordert daher, sich nicht "einfach abzuwenden" (Kurdistan und die PKK, S. 12). Es wird eine "intervenierende Auseinandersetzung" gefordert (ebenda, S. 9), die die "kurdischen GenossInnen in ihrem nationalistischen Konzept radikal (..) kritisiert" (ebenda, S. 12).

Bleibt die Frage, was mit diesem Verständnis an Solidaritätsarbeit möglich ist. Die einzige Form der Unterstützung, die von der "Gruppe aus der Radi" genannt wird, ist ihre Kritik zu veröffentlichen: "Wir unterstützen den Kampf der PKK in Kurdistan und unserer kurdischen GenossInnen hier gegen die Mühlen der BRD-Repression durch unsere Veröffentlichungen" (ebenda, S. 9). Mit dem Äußern von Kritik werden letztlich Solidarisierungen verhindert, die mit der Veröffentlichung von Kriminalisierung und Unterdrückung gegen KurdInnen erreicht werden sollen. Und auch die KurdInnen legen auf diese Form der Unterstützung keinen Wert. Eine Vertreterin der Kurdistan-Solidaritätsgruppen berichtet von Unverständnis gegenüber UnterstützerInnen, die "versuchen, die konkrete Arbeit zu unterstützen und gleichzeitig eine Debatte zu führen" (Karin Leukefeld von der Infostelle Kurdistan in einem Streitgepräch der Jungen Welt vom 14.10.95, zitiert nach radikal 153 11/95, S. 48). Was zudem festzuhalten bleibt, ist der Umstand, dass in der Kritik der radikal nicht die Politik der PKK und das Verhalten der KurdInnen maßgeblich sind, sondern die vertretenen Meinungen. Dagegen betont die Gruppe aus der Kurdistan-Solidaritätsbewegung die Progressivität der PKK in der konkreten Politik.

Den Unterschied zwischen vorhandenen Ideologien und tatsächlichem Verhalten verdeutlicht auch die kurdische Demonstration am 9. März 1996 in Bonn. Eine deutsche Beteiligte berichtet von der Frauendemonstration anlässlich des Internationalen Frauentags, die von der YJWK Nachfolgeorganisation YAJK (Freier Frauenverband Kurdistan) veranstaltet wird. Entgegen dem Eindruck, den die zitierten Aussagen der YJKW machen, dass eine Unterordnung kurdischer Frauen gefordert wird und Gleichstellungsforderungen abgelehnt werden, handelte es sich bei der Demonstration um eine von Frauen getragene Veranstaltung, bei der die wenigen teilnehmenden Männer eine eher zurückgesetzte als herausgehobene Rolle spielten. Die Männer die mitgegangen sind, hätten sich "nicht in der Demo, sondern am Rand" aufgehalten, hätten "sich nicht eingemischt" und hatten "immer irgendwelche Kinder an der Hand" (9. März - kurdische Frauendemonstration in Bonn. Interview einer Frauengruppe mit einer weißen, deutschen Demonstrationsteilnehmerin, radikal 154 6/96, S. 51).

Als es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kommt, beteiligen sich die wenigen, anwesenden Männer sofort, werden aber irgendwann "wieder nach hinten geschickt" (ebenda). Die Augenzeugin sieht hier keinen Unterschied im Verhalten zu den anwesenden Frauen, von denen sie den Eindruck hatte, sie seien "alle ziemlich mutig und kämpferisch" (ebenda).

Die Berichte von der konkreten Politik in Kurdistan und dem Auftreten der KurdInnen in der Bundesrepublik stellen ihre Organisationen als relativ progressive Kraft dar. Trotzdem wird versucht, Kritikpunkte auf Grundlage des autonomen Politikverständnisses zu finden, ohne die besonderen Bedingungen der KurdInnen zu berücksichtigen. Die Autonomen rechtfertigen damit, bewusst oder unbewusst, ihr Nichtstun und ihre Unfähigkeit zur konkreten Solidarität.

2. Rote Zora: Ihr habt die Macht, uns gehört die Nacht

Konkrete Aktionen sind zumindest die Anschläge von Gruppen aus dem autonomen Umfeld die mit dem Verbot kurdischer Organisationen begründet werden. Eine Gruppe, die sich K.O.M.I.T.E.E. nennt, zerstört eine Bundeswehrgebäude in Bad Freiwalde um damit auf die Unterstützung des türkischen Militärs durch Waffen aus Bundeswehr- und NVA-Beständen aufmerksam zu machen (Das K.O.M.I.T.E.E.: Bad Freiwalde. Sprengstoffanschlag auf Bundeswehrgebäude, radikal 151 12/94, S. 26). Erstmals seit 1987 tritt auch wieder eine Gruppe unter dem Namen Rote Zora in Erscheinung. In der radikal veröffentlicht sie das Bekennerinnenschreiben zu einem missglückten Anschlag auf den Betrieb eines "Rüstungsliferanten für das türkische Regime" in Lemwerder (Rote Zora: Ihr habt die Macht, uns gehört die Nacht, radikal 153 11/95, S. 51). Ihre Anschlagserklärung zieht die schriftliche Reaktion einer autonomen Frauengruppe nach sich, die erneut zeigt, dass der Diskurs der Autonomen zusehen "akademisch" wird.

Der Text der Roten Zora geht ausführlich auf die Situation kurdischer Frauen in ihrer Herkunftsregion ein und romantisiert dabei ihre vorkapitalistischen Wirtschafts- und Sozialformen gegenüber den patriarchalen Ausbeutungsstrukturen der Industrialisierung. Gerade der Antworttext macht aber deutlich, wie sehr das Theorie-Praxis-Verhältnis der Autonomen zerfallen ist. Fungiert die positive Darstellung vorkapitalistischer Strukturen durch die Rote Zora als Begründung für den Kampf gegen die Ausbreitung des Kapitalismus, folgt aus der quasi wissenschaftlichen Widerlegung dieser Analyse durch die Frauengruppe keine andere Praxis. Es besteht keine Verbindung mehr zwischen Informationsselektion und Handlungsaufforderung. Das Theoretisieren ist an die Stelle der Agitation getreten.

In der Anschlagserklärung heißt es, dass die wasserreichen kurdischen Bergregionen als "Entwicklungszonen" für den Aufbau von Export-Landwirtschaft vorgesehen seien (Rote Zora, S. 52). Daher würde "die traditionelle Subsistenz so gut wie ausgelöscht" und die BewohnerInnen vertrieben (ebenda). Der "Krieg" der Türkei gegen kurdischen Widerstand konzentriere sich nicht nur auf Gegenden, "wo die Guerilla sehr stark" sei, sondern auch auf die Bergregionen. Denn dort hätten "Frauen eine vergleichsweise starke und freizügige Stellung" da sie sich den "patriarchal und religiös verbrämten Unterdrückungsformen stärker verweigert" hätten als anderswo (ebenda). Unter den Bedingungen der Vertreibung würden ihre "traditionellen Solidarnetze" zerstört und sie seien "zunehmender Männergewalt in "modernen" Formen von patriarchaler (insbesondere sexistischer und Kleinfamilien-) Unterdrückung" ausgesetzt (ebenda). Trotzdem seien diese "aus den Bergdörfern Vertriebenen Landfrauen (...) treibende und organisierende Kräfte" innerhalb des Protestes, der sich zwischen 1989 und 1992 "immer wieder mit Steinen, Stöcken etc. und ihrer Wut bewaffnet sich den Militärs entgegenstellten" (ebenda).

Neben den erwähnten "Solidarnetzen" gibt es auch patriarchale Strukturen in der kurdischen Gesellschaft. Dazu zählen die Familien, in denen "patriarchale Unterdrückung" herrsche, die aber als "Großfamilie" den Vorteil der "Aussicht auf Macht und Wertschätzung als ältere Frau" biete (ebenda). Viele junge Frauen gingen zur PKK, um aus der Familie auszubrechen.

Kritik an der PKK

Gegen die türkische Politik aus "Nationalismus, Chauvinismus und Rassismus", die vom Militär und den "Repressionsorganen" umgesetzt würde, entwickelten die Kurdinnen einen "Unterdrücktenstolz", der "Verbindungen über alle sozialen Unterschiede hinweg" schaffe (ebenda). Das Streben nach "kurdischer Identität" werde "treibende Kraft" im Widerstand gegen "türkische Repression" (ebenda, S. 53). Die PKK greife dieses Bedürfnis nach Identität auf und setzt es ein im Kampf für eine kurdische Nation. Sie fördere den "Mythos von einer uralten Geschichte" und konserviere "bestimmte kurdische Traditionen" (ebenda). Damit trage sie dazu bei, dass die hergebrachte Sozialformen zu zerstören und die Modernisierung voranzutreiben um letztlich ihre eigene Machtbasis zu stärken. Auch die PKK wolle die "frühere Verschiedenartigkeit kurdischer Kulturen mit ihren von den Zentralgewalten relativ unabhängigen Produktionsweisen der Selbstversorgung" zum Verschwinden bringen (ebenda). Die Ausrichtung des Kampfes auf die "nationale Eroberung" bejahe "die Zerstörung der Subsistenz" und setze auf "die zukünftige Anbindung an den imperialistischen Weltmarkt" (ebenda).

Die Stellung der Frau in der Vorstellung der PKK wird ebenfalls einer Kritik unterzogen. In Berufung auf den bereits zitierten Text der YJWK sieht die Rote Zora die "Befreiung der Frauen" an "ihre Teilnahme am militärischen nationalen Befreiungskampf" gebunden (ebenda). Damit solle die "fortschreitende Radikalisierung vieler junger Frauen" verhindert werden, die sich sonst gegen den "HERRschaftsanspruch" der PKK selbst richten könnte (ebenda). Aufgrund dieser Kritik ist es folgerichtig, dass die "Solidarität" der Roten Zora vor allem den Frauen gilt, "die nicht bereit sind, in den Kämpfen ihre Forderungen nach einer befreiten Gesellschaft ohne Frauenunterdrückung und ohne Ausbeutung den national-ethnisierenden Parolen zu opfern" (ebenda, S. 54).

Auch hier stellt sich wieder die Frage, ob das eingangs geäußerte Anliegen der Roten Zora, "die Passivität vieler Frauen- und linker Zusammenhänge gegenüber dem kurdischen Widerstand und der massiven Repression" aufbrechen zu wollen mit dem Text unterstützt wird (ebenda, S. 51). "Mit der PKK kann Frau sich nicht identifizieren" heißt es ebenfalls am Anfang des Textes, wie soll dann aber die konkrete Solidarität aussehen? Die Rote Zora zeigt ihren Weg mit dem versuchten Anschlag auf einen Rüstungslieferanten, Wege der konkreten Unterstützung von KurdInnen bleiben aber unklar, zumal es auf organisatorischer Ebene keine Alternative zur PKK gibt.

3. Frauen in Kurdistan - Rote Zora

Die Romantisierung der kurdischen Subsistenzwirtschaft durch die Rote Zora bleibt nicht unwidersprochen. Eine Gruppe von Frauen antwortet auf den Text mit einer Überprüfung der Aussagen zur Stellung der Frau in Kurdistan. Der Text der Roten Zora verkoppele "Stärke und Kampfbereitschaft mit den Subsistenzstrukturen", es werde aber nicht begründet, "warum der Widerstand der KurdInnen untrennbar mit dieser Form von Produktion verbunden sein soll" (ein Beitrag von Frauen: Frauen in Kurdistan - Rote Zora, in: radikal 154 6/96, S. 43). Es stelle sich also die Frage, "was das an sich Gute und schützenswerte dieser Wirtschaftsform ausmacht" (ebenda).

Die Recherchen der Autorinnen ergeben, dass die Subsistenzwirtschaft "in den Tälern Türkisch-Kurdistans (...) harte Lebensunstände" mit sich bringt (ebenda). Sie lehnen daher technischen Fortschritt nicht generell ab und befürworten "technische Weiterentwicklung", besonders den "Ausbau von Infrastruktur" (ebenda).

Auch zu den von der Roten Zora erwähnten "Solidarnetzen" unter kurdischen Frauen bemüht sich der Antwortartikel um eine Differenziertere Position. Es handele sich dabei um das Beziehungsgeflecht unter Dorfbewohnerinnen, das eher auf das Ansehen der Haushalte und der Frauen durch die Dorfgemeinschaft ausgerichtet zu sein scheint. Es wird ein Text zitiert, der zu dem Schluss kommt: "die Solidarität unter den Frauen ist kurzfristig, zweckgebunden und kann rasch in Konkurrenz und damit verbundenes negatives Begleitverhalten umschlagen". Es sei nicht richtig, "die Beziehungen der Frauen zu ihren Nachbarinnen als eine Solidaritätsstrategie zu sehen, die sich mit dem von Männern beherrschten System kritisch auseinandersetzt" (Nükhet Sirmann: "Verhaltensstrategien von Bäuerinnen zur Stärkung ihrer Position in Ehe und Familie", in: Aufstand im Haus der Frauen, Berlin 1991, S. 263 ff, zitiert nach Frauen in Kurdistan, radikal 154 6/96, S. 46).

Der Text der Roten Zora baue ein "verklärtes Verhältnis zu den von ihnen ausgemachten "weltweiten Frauenkämpfen" auf" (Frauen in Kurdistan, S. 45), ähnlich ihrem früheren Verständnis von Internationalismus, das ihren eigenen Angaben zu Folge von "einem starken Loyalitätsverhältnis zu bewaffnet kämpfenden antiimperialistischen Gruppen und von einer Faszination der Befreiungsbewegungen gekennzeichnet war" (Rote Zora: Milli´s Tanz auf dem Eis, 1993 S. 12, zitiert nach Frauen in Kurdisatan, S. 44).

Diese "wissenschaftliche" Widerlegung derRote Zora-Analyse könnte als zufälliger Beitrag einer eher "akademisch" orientierten Frauengruppe gewertet werden, wenn sie nicht in der radikal veröffentlicht wäre. Eine Redaktion musste diese Art der Antwort für veröffentlichenswert finden. Im Vergleich zur Auseinandersetzung um den RZ-Text "Was ist Patriarchat?" fällt auf, dass der Antworttext keine politische Alternative formuliert. Bringen die Reaktionen zum RZ-Text Theorieelemente aus den Diskussionen um Imperialismus und Patriarchat ein, beschränkt sich die Antwort diesmal auf eine bloße Widerlegung der Roten Zora.

Wie bei etlichen Beiträgen in den Zeitschriften ARRANCA! oder 17° zeigt sich die Tendenz, dass der Praxisanspruch aufgegeben wird. Autonomes Selbstverständnis speist sich nicht mehr aus dem Kampf, sondern daraus, IntellektuelleR zu sein.

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