1. Einleitung: Die Autonomen zwischen Subkultur und sozialer Bewegung

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Anfang der 80er Jahre kommt es in Zürich und verschiedenen bundesdeutschen Großstädten zu gewalttätigen Ausschreitungen von Jugendlichen. Diese Form von Straßengewalt war nach dem repressiven politischen Klima im ‚Deutschen Herbst‘ kaum für möglich gehalten worden, entsprechend groß ist das Medienecho. Für die maskierten KämpferInnen im Bürgerschreckoutfit des Punk wird der Begriff der ‚streetfighter‘ geprägt, sie selbst nennen sich ‚Autonome‘, in Anlehnung an die italienische Autonomia-Bewegung.

An der Medienaufmerksamkeit für die Vermummten hat sich seither wenig geändert. Wo immer der ‚schwarze Block‘ auftaucht, ist ihm öffentliches Interesse sicher. Das Geheimnis, wer sich hinter den ‚Hassmasken‘ verbirgt, zusammen mit der zur Schau gestellten Gewaltbereitschaft, machen jeden Auftritt zu einem spannenden Ereignis. Die Reaktionen von Politik, Presse und Wissenschaft bewegen sich dabei zwischen der Einschätzung, dass es sich bei den Autonomen um besonders radikale AktivistInnen der jeweiligen Bewegung handelt und ihrer Etikettierung als ‚notorische Chaoten‘. Während also in dem einen Fall die politischen Motive anerkannt werden und die Militanz als Entschlossenheit interpretiert wird, unterstellt die andere Sichtweise, dass die Ausschreitungen nur der Selbstdarstellung von Jugendlichen dienen, die damit Abgrenzungs- und Identitätsbedürfnisse befriedigen.

Eine entsprechende Position vertritt Armin Pfahl-Traughber, wenn er die Autonomen als ‚Subkultur‘ einordnet und damit auch ihre politischen Einstellungen unter dem Aspekt der Identitätsbildung beurteilt: "Bei den Autonomen nehmen diese Eigenschaften einer Subkultur besondere Merkmale an, und zwar auf der Ebene politischer Einstellungen im Sinne einer offenen Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates zugunsten von linksextremistischen Ideologieelementen und militanten Handlungsweisen" (Armin Pfahl-Traughber: Die Autonomen. Portrait einer linksextremistischen Subkultur, aus Politik und Zeitgeschichte 9-10/98, S. 45). In der Rezension eines Buches über die Autonomen liefert er zudem mit "psychischen Problemen" indirekt einen Grund für die diagnostizierten subkulturellen Abgrenzungsbedürfnisse, wenn er kritisiert, dass "die Frage nach der Ernsthaftigkeit von politischen Ansprüchen gegenüber sich artikulierenden psychischen Problemen und Reifungsprozessen stärker [hätte] berücksichtigt [werden] müssen" (Armin Pfahl-Traughber: Die Autonomen aus Sicht der Autonomen, Jahrbuch Extremismus und Demokratie, 10. Jg. 1998, S. 369).

Die Frage, ob es sich bei den Autonomen eher um eine Jugendkultur oder eine politische Bewegung handelt, wird auch intern diskutiert. Ansatzpunkt ist auch hier das militante Auftreten. So ist eine Hamburger Gruppe nach den Auseinandersetzungen um die besetzten Häuser in der Hafenstraße der Meinung, dass viele Autonome sich und andere durch die Maskierung gefährdeten, "weil ihnen die Selbstdarstellung ihrer unangepaßten Persönlichkeit wichtiger ist als das politische Ziel" und fordert daher: "Die Vermummung muß den Charakter der Selbstdarstellung verlieren" (Hamburger Autonome: Ich sag‘ wie‘s ist, S. 23, abgedruckt in INTERIM 27, 4-11.1988).

Die Kritik an sinnloser Gewalt und Vermummung verbreitet sich ab Ende der 80er Jahre und führt unter anderem zu neuen Organisationsformen. Denn neben den äußeren Merkmalen sprechen auch die informellen Strukturen dafür, dass es sich um eine Subkultur handelt: Die meisten Aktiven bewegen sich in einer ‚Szene‘, die sich bei Kulturveranstaltungen oder in Jugendzentren und Kneipen trifft und sich für Aktionen und Kampagnen kurzfristig organisiert.

Entgegen der vorherrschenden Trennung in politischen und kulturellen Protest will diese Arbeit zeigen, wie eng beide Phänomene bei sozialen Bewegungen verbunden sind. Anhand der Autonomen soll verdeutlicht werden, dass soziale Bewegungen immer auch eine, ihren Themen und Protestformen entsprechende, Bewegungskultur hervor bringen. Diese kulturelle Seite kann nicht nur als Nebenprodukt der rationalen Zielverfolgung betrachtet werden, es handelt sich viel mehr um ein wichtiges Element, AnhängerInnen an die Bewegung zu binden. Anders als zweckrationale Organisationen, die ihre Existenz mit institutionalisierten Strukturen sichern, ‚leben‘ soziale Bewegungen davon, ihre AnhängerInnen mobilisieren zu können. Nur wenn es ihnen gelingt, Menschen zum Mitmachen zu bewegen, können sie weiterbestehen.

Die Mittel, AnhängerInnen einzubinden sind besondere Erlebnismöglichkeiten und das von der Bewegung ausgehende Angebot kollektiver Identität. Daher sind Aktionen zentraler Bestandteil sozialer Bewegungen: In der Aktion kann die Opposition zu anvisierten GegnerInnen symbolisch ausgedrückt und erlebt werden. Durch die Abgrenzung entstehen Kollektivität und Bewegungsidentität, sie machen gesellschaftliche Konflikte sinnlich erfahrbar und bieten den AnhängerInnen Handlungsmöglichkeiten.

Mit der Einnahme einer politisch oppositionellen Haltung setzen sich die Aktiven auch als Personen in Differenz. Engagement hat daher auch immer einen Identitätsaspekt. Dieses persönliche Moment schafft Öffentlichkeit für die vertretenen Positionen, weil konkrete Personen für ihre Überzeugungen ‚haftbar‘ gemacht werden können. Mit Aktionen kann daher Medienaufmerksamkeit geschaffen, das Publikum polarisiert und letztlich das Bewegungsthema in der Öffentlichkeit verankert werden. Aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung für soziale Bewegungen sind ‚Aktion‘ und ‚Konflikt‘ auch die zentralen Kategorien im konzeptionellen Teil dieser Arbeit.

Durch die Ausbildung kollektiver Identität rücken soziale Bewegungen in die Nähe von Jugendsubkulturen, für die sie ein zentrales Element darstellt. Jugendsubkulturen schaffen Gemeinschaft, indem sie eine Ordnung aus Gegenständen, Handlungen und Symbolen aufbauen, in denen sich die Mitglieder wiedererkennen können. Auch soziale Bewegungen betreiben eine entsprechende Stilbildung, indem sie eine Protestkultur aus Aktions- und Organisationsformen, Rhetorik und Symbolen etablieren. Die Autonomen übernehmen für ihre Bewegungskultur vor allem Elemente aus der Alternativkultur der neuen sozialen Bewegungen (nsB) und aktuellen jugendsubkulturellen Moden. Insbesondere beim Punk werden so starke Anleihen genommen, dass Autonome und Punks zu Beginn der 80er Jahre kaum von einander unterschieden werden können. Bei beiden ist ‚radikale Opposition‘ zentrales Stilelement und ‚schwarze Kleidung‘ das Erkennungszeichen.

Während aber die Provokation des Punk unspezifisch in fast jede Richtung geht (, und manchmal gar nicht ‚pc‘ ist,) brauchen Autonome für ihre Selbstdarstellung einen explizit politischen Kontext. Sie treten nur bei Aktionen in Erscheinung, die als Teil einer ‚linken Bewegung‘ interpretiert werden können. Anders als bei Jugendsubkulturen kann sich ihr Stil nicht in neutralen oder ‚rechten‘ Kontexten entfalten. Der Stil der Autonomen ist also nicht von politischen Aktionen trennbar und muss als Ausdruck von Bewegungskultur verstanden werden.

Daher ist anhand der autonomen Geschichte die These überprüfbar, dass soziale Bewegungen nur Mobilisierungsfähigkeit erreichen, wenn es ihnen gelingt, politischen Protest mit Bewegungskultur zu verbinden. Weder können sie sich institutionalisieren und auf ihre Organisationsstruktur reduzieren, noch sich von ihren Strukturen trennen und als (Jugend-)Subkultur weiterbestehen. Nur wenn es den OrganisatorInnen gelingt, Konflikte zu provozieren und (Massen)Aktionen zu veranstalten, wird die Bewegung und ihr Thema öffentlich wahrgenommen und zu einem politischen Faktor. Gleichzeitig ist auch die kollektive Identität der Bewegung an das Bewegungsthema und die Polarisierung der Konflikte gebunden, also von der politischen Seite der Bewegung abhängig. Als Organisationsform verknüpfen sie damit die Zweckorientierung formeller Organisationen mit Kultur- und Identitätsbildung, wie sie von Jugendsubkulturen betrieben wird.

Bevor wir uns der Frage zuwenden, wie es den Autonomen im Verlauf ihrer Geschichte gelingt, diese Verbindung von Identitätsbedürfnissen und Bewegungspolitik herzustellen, soll im konzeptionellen Teil auf die systemischen Bedingungen sozialer Bewegungen und auf die Bewegungskultur der neuen sozialen Bewegungen eingegangen werden. Wenn dann die Autonomen in den Mittelpunkt der Darstellung rücken, stehen zunächst ihre spezifischen Aktions- und Kulturformen im Vordergrund. Der empirische Teil der Arbeit widmet sich dann den konkreten Bedingungen und Formen, in denen die Autonomen entstehen und sich entfalten können. Von besonderem Interesse sind dabei die Veränderungen, denen sowohl das Bewegungshandeln als auch die kollektive Identität der Autonomen unterworfen sind.

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